Wie der negative Einfluss und Pazifismus sogenannter „Friedenstauben“ den Vernichtungskrieg RU 🇷🇺 gegen die UA 🇺🇦 verlängert





Die Sirenengesänge der voreiligen Friedensstifter - wer meint, Russland und die Ukraine könnten schon bald einen Kompromiss finden, ist schlecht informiert



Neue Züricher Zeitung 


Ein GASTKOMMENTAR von 

Dr.Andreas Umland



11. Juni 2023





https://academia.edu/resource/work/103188372





Während im Donbass die ukrainische Offensive anläuft, gibt es im Westen Kreise, die nicht müde werden, zu betonen, dass ein Friede jetzt schon möglich sei. Ihre Dauerintervention streut Zweifel an der Entschlossenheit, Kyiv im Freiheitskampf mit allen nötigen Waffen beizustehen. De facto verlängert ihr Pazifismus den Krieg.


Das muss dann wohl sein, denn grosse Teile der russischen Elite und Bevölkerung sind überzeugt, dass der Krieg gegen die Ukraine gerechtfertigt ist. 


Zerstörter Wohnblock in Mariupol, April 2022.



Russlands Aggression gegen die Ukraine hält an, und wieder mehren sich die Rufe nach einem Waffenstillstand zwischen Moskau und Kiew von «Pazifisten» oder «Pragmatikern». Zu ihnen gehören nicht nur prominente politische Aussenseiter von Sahra Wagenknecht auf der äussersten Linken bis Donald Trump auf der äussersten Rechten. 


Auch etablierte Sozialwissenschafter und politische Analysten drängen auf Verhandlungen. Sie alle wollen einige grundlegende Realitäten dieses Krieges weder wahrhaben noch diskutieren.


Die innenpolitischen Verhältnisse etwa, mit denen sowohl der russische Präsident Wladimir Putin als auch der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski konfrontiert sind, scheinen ihnen entweder unbekannt oder uninteressant zu sein. 


Daher sind ihre Forderungen nach einer schnellen Einigung zwischen Moskau und Kiew keineswegs nützliche, sondern unverantwortliche Eingriffe in die Debatte über den Fortgang des Krieges.


Von den akademischen Regalien vieler ihrer Sprecher untermauert, wecken solche Sirenengesänge ungerechtfertigte Hoffnungen auf einen derzeit unerreichbaren Frieden. 


Die Aussichten auf einen positiven Ausgang hypothetischer Friedensverhandlungen zwischen Moskau und Kiew sind verschwindend gering - zumindest solange das derzeitige russische Regime intakt bleibt und sich die militärische Situation vor Ort nicht grundlegend ändert.


Zwei innenpolitische Sackgassen


Zum einen haben die offen deklarierten russischen Annexionen von 2014 und 2022 hohe rechtliche Hindernisse für eine politische Lösung geschaffen. Die Verfassungen der Ukraine und Russlands definieren nun ein und dieselben Regionen als Teile des Staatsterritoriums und verbieten beiden Seiten, territoriale Zugeständnisse zu machen. 


Manche Beobachter argumentieren, dass Verfassungen geändert, verwässert oder ignoriert werden könnten. Vor allem gelte dies in einem autoritären Staat wie Russland, wo politische Macht hochkonzentriert ist und Rechtsstaatlichkeit ohnehin wenig zählt.


Allerdings gibt es in beiden Ländern wachsende - und teilweise bewaffnete - Bevölkerungsgruppen, die jegliche territorialen Zugeständnisse an den Feind strikt ablehnen. Wobei die beiden sich entgegenstehenden Lager aussenpolitischer «Falken» von sehr unterschiedlicher ethischer und völkerrechtlicher Qualität sind. 


Während das russische radikale Lager nicht von den Früchten imperialer Expansion ablassen will, verlangen die ukrainischen Unversöhnlichen lediglich die Achtung elementarer völkerrechtlicher Normen.


Doch ähneln sich die beiden opponierenden Lager in ihrer innenpolitischen Bedeutung.


Die Forderungen nach einer schnellen Einigung zwischen Moskau und Kyiv sind keineswegs nützliche, sondern unverantwortliche Eingriffe in die Debatte über den Fortgang des Krieges.


In der Ukraine umfasst das Lager der «Falken» alle relevanten politischen Parteien, eine Mehrheit der Bevölkerung sowie grosse Teile der Zivilgesellschaft.


Meinungsumfragen zeigen, dass die meisten Ukrainer eine vollständige Wiederherstellung der politischen Souveränität und territorialen Integrität der Ukraine wünschen. Sie wollen, dass dem Aggressor Gerechtigkeit widerfährt, und würden keinerlei territorialen Zugeständnissen zustimmen. Diese Haltung hat sich mit jedem weiteren Kriegsmonat verfestigt.


In Russland ist das Bild gemischter und uneinheitlicher. Indes sind grosse Teile der russischen Elite und Bevölkerung davon überzeugt, dass die Annexionen ukrainischer Gebiete gerechtfertigt und nicht verhandelbar sind.


Laut einer Meinungsumfrage des renommierten Levada-Zentrums vom August 2022 befürworteten damals beispielsweise 45 Prozent der Russen die geplanten Angliederungen der südostukrainischen Oblaste Saporischja und Cherson an Russland. 


21 Prozent waren der Meinung, dass diese Regionen unabhängige Staaten werden sollten, was de facto ihre Umwandlung in russische Protektorate meinte. Nach der kurz darauf erfolgten tatsächlichen Annexion der beiden Oblaste sowie von Donezk und Luhansk nahm die Zustimmung der Russen zum Expansionismus noch zu. 


Die Unterstützung der Annexionen von 2022 war und ist hoch, obwohl sie kurioserweise auch Gebiete umfassen, die nie von Russland besetzt beziehungsweise nach ihrer Besetzung wieder aufgegeben worden sind.



Sonderfall Krim?



Die öffentliche Meinung in Russland macht freilich immer noch einen

Unterschied zwischen der 2014 illegal erworbenen Krim und den 2022 annektierten ukrainischen Festlandgebieten. 


In der russischen Gesellschaft herrscht ein nahezu vollständiger Konsens über die Krim-Annexion, der selbst weite Teile der verbliebenen liberalen Opposition umfasst.


Die Mehrheitsmeinung sieht Moskaus Annexion der beliebten Feriengegend sowie des Standortes des wichtigsten russischen Marinestützpunktes am Schwarzen Meer als grundsätzlich legitim und von nationalem Nutzen an. 


Im Gegensatz dazu ist die Intensität der imaginären russischen historischen Verbindung zu den neu annektierten Oblasten Donezk, Luhansk, Cherson und Saporischja geringer. 


Viele Russen würden die Rückgabe dieser Regionen an die Ukraine wahrscheinlich als peinlich empfinden, aber als weit weniger bedauerlich als den Verlust der Krim.


Eine solche Differenzierung steckt auch hinter vielen der gegenwärtigen, von aussen kommenden «pragmatischen» Vorschläge für einen Waffenstillstand oder ein Friedensabkommen. Irgendwie - so der populär-politische Grundgedanke dieser Pläne - sollte man Putin dazu bringen, die von der Ukraine besetzten Gebiete auf dem Festland zurückzugeben. 


Im Gegenzug könnte man ihm die Krim überlassen.

Viele dieser Beobachter gehen davon aus, dass Russlands Annexion (illegale Besetzung) der Krim im Jahr 2014 legitimer war als Moskaus Landnahme im Jahr 2022. Für andere mag sich dies weniger klar darstellen, aber Russlands Herrschaft über die Krim ist für sie zu einer festen Tatsache geworden, an der kaum noch zu rütteln ist. 


Daher gehen etliche dieser Stimmen davon aus, dass die russischen Annexionen von 2014 und 2022 verhandlungsstrategisch voneinander getrennt werden müssten und könnten. 


Von diesem Gesichtspunkt aus sollten die beiden Annexionen in diplomatischen Bemühungen Kyivs und des Westens unterschiedlich behandelt werden.


Doch macht nicht allein die russische Verfassung keinen Unterschied zwischen den Annexionen von 2014 und 2022. Es ist auch unklar, ob eine Rückabwicklung der jüngsten russischen Eroberung für den Kreml tatsächlich wesentlich einfacher wäre als ein Verzicht auf die Krim. 


Der militärische Raid auf die Krim im Februar/März 2014 verlief für Russland völlig unblutig, Opfer gab es nur auf ukrainischer Seite. Die menschlichen Kosten der gewaltsamen Eroberung der vier Oblaste auf dem Festland im Jahr 2022 waren dagegen sehr hoch und steigen täglich weiter an.



Putins Kalkulationen


Damit steht bei einer hypothetischen russischen Rückgabe der frisch annektierten ukrainischen Gebiete für den Kreml politisch immer mehr auf dem Spiel. 


Was hätten die Opferung vieler zehntausend russischer Menschenleben und die Isolierung des Landes vom Westen gebracht, wenn Moskau nach Verhandlungen dem Status quo ante vom 23. Februar 2022, das heisst dem Tag vor Russlands Grossinvasion, oder sogar vom 19. März 2014, sprich dem Tag nach Russlands illegaler Krim-Annexion, zustimmen würde?


Viele derzeitige und ehemalige russische Soldaten und Söldner, die ihre Kameraden im Krieg verloren haben, würden mit solchen Zugeständnissen ihrer Regierung an den Feind - milde ausgedrückt - unzufrieden sein.


Für Russlands Entscheidung, 2022 einen grossen Angriffs- und Vernichtungskrieg gegen die Ukraine zu beginnen, waren nicht nur Machtkalkulationen von Putin und seinen Kumpanen bedeutend. Zu den irrationalen Ursachen der Aggression gehörten postsowjetische Ressentiments, imperialer Hunger, koloniale Ambitionen, hegemoniales Gehabe, strategische Fehleinschätzungen und faschistische Impulse.


Ein sehr pragmatischer Grund für die grossangelegte Invasion war hingegen die

Unhaltbarkeit der Krim als dauerhafte russische Exklave. 


Es war unwahrscheinlich, dass die Halbinsel jemals auch nur halbwegs würde wirtschaftlich selbständig werden können - nicht zuletzt wegen der seit 2014

anhaltenden westlichen Sanktionen gegen die Krim. 


Die Halbinsel war und ist für einen Grossteil ihrer Wasserversorgung vom Nord-Krim-Kanal abhängig, der den Fluss Dnipro im ukrainischen Festland über die Landenge von Perekop mit der Krim verbindet.


Solange die illegal annektierte Krim eine Exklave ohne eine nachhaltige Verbindung zu Russland ist, wird die Halbinsel weiterhin hohe jährliche Subventionen aus dem russischen Staatshaushalt abziehen. 


Daran hat auch die 2019 eröffnete und verwundbare Kertsch-Brücke über die Kertscher Meerenge prinzipiell nichts geändert. Wird die annektierte Krim erneut von ihrer Verbindung zum ukrainischen Festland und der Landbrücke zu Russland getrennt, gerät sie wieder in jene geopolitisch und geoökonomisch fragile Lage, in der sie sich 2014 bis 2022 befand. 


Der Kreml weiss sehr wohl um diese strategischen Unwägbarkeiten und Herausforderungen.

Einige derselben westlichen Beobachter, die argumentieren, Putin sei ein

rationaler Akteur, ignorieren die praktischen Gründe für Russlands Annexionen von 2022. Sie ignorieren die wirtschaftliche und logistische Bedeutung der russischen Herrschaft über den gesamten Südosten der Ukraine für die Fortsetzung von Moskaus älterem und populärerem Krim-Abenteuer.


Peinlichkeit und Verrat


Ob für Putin oder einen Post-Putin: 

Die jüngsten Gebietseroberungen Russlands rückgängig zu machen, würde weitaus schwieriger sein als die Eingliederung der Gebiete in die Russische (Pseudo-) Föderation (RF). 


Die Annexionen wurden im März 2014 und September 2022 innerhalb weniger Tage vollzogen. Ein freiwilliger Verzicht auf ukrainische Regionen, die jetzt in Russland als vollwertige Teile des RF-Staatsgebiets gelten, wäre für die meisten russischen Nationalisten eine Peinlichkeit sondergleichen, wenn nicht gar Verrat.


Darüber hinaus besteht für Moskau ein weiteres, noch weiter gehendes Risiko bei einem Gebietsabtritt. Eine mit Kyiv ausgehandelte Separation ukrainischer Oblaste, die aus heutiger Moskauer Sicht offizielle Teile Russlands sind, könnte in Zukunft russischen Regionen, die durchaus zum international anerkannten Territorium der Föderation gehören, als Beispiel dienen.


Sollte Russland etwa wieder in eine tiefe sozioökonomische Krise wie in den frühen neunziger Jahren rutschen, könnten verschiedene Republiken und Oblaste dies als Modell für ihren eigenen Austritt aus Russland betrachten. 


Die russische politische und intellektuelle Elite ist sich des Risikos einer solchen territorialen Desintegration ihres Staates nur zu bewusst. Sie wird daher zögern, einen Präzedenzfall für eine künftige politische Abspaltung russischer Regionen von der Föderation zu schaffen.



Erhöhter Einsatz


Es gibt also eine Vielzahl von Gründen, warum es irreführend ist, zu behaupten, eine Einigung zwischen der Ukraine und dem derzeitigen russischen Regime sei in Reichweite. 


Entsprechende Äusserungen - vor allem, wenn sie in den Echoräumen einflussreicher Medien immer wieder vorgetragen und so verstärkt werden - wecken falsche Erwartungen an die laufenden diplomatischen Bemühungen zur Eindämmung des Krieges. 


Mit ihrem Schüren der Hoffnung auf einen schnell erreichbaren und dauerhaften Verhandlungsfrieden schaffen sie diskursive Sackgassen in der öffentlichen Debatte über die derzeitige und künftige westliche Unterstützung für die Ukraine.


Es ist eine Illusion, zu glauben, dass es eine praktikable Alternative zum laufenden Kampf der Ukraine um die Befreiung ihrer Gebiete gibt. Die Forderungen nach einem raschen Waffenstillstand stehen nicht nur in offenkundigem Widerspruch zu den ukrainischen Wünschen. 


Sie stellen sich auch gegen nationale Interessen westlicher Staaten und gegen weltweit geltende völkerrechtliche Prinzipien.


Das Trugbild einer baldigen friedlichen Konfliktlösung vermag entschlossene westliche Hilfe für Kyiv zu verzögern, zu reduzieren oder gar zu verhindern.


Indem sie aggressiv für ein schnelles Ende des Krieges werben, verlängern Kommentatoren in Wirklichkeit die Konfrontation. Und sie erhöhen das Risiko künftiger Kriege, indem sie einer weiteren Abwertung des Völkerrechts und einer weiteren Untergrabung der europäischen Sicherheitsordnung das Wort reden.




Mit der aktiven oder passiven Zerstörung des Kachowka-Staudamms hat Russland seinen Einsatz nochmals erhöht. Dieses neuerliche Kriegsverbrechen kommt dem Einsatz einer Massenvernichtungswaffe nahe. 


Ein 1977 in Kraft getretenes Zusatzprotokoll des Genfer Abkommens von 1949 verbietet Angriffe unter anderem auf Staudämme aufgrund hoher Risiken für die Zivilbevölkerung.


Infrage gestellt wird nicht nur die Zukunft der Landwirtschaft in den betroffenen Gebieten, sondern auch die Versorgung weiter Teile der Ukraine sowie der Krim mit Süsswasser. Einmal mehr hat sich gezeigt, dass es dem Kreml um Vergeltung und Vernichtung und keineswegs um die Interessen der Menschen in den besetzten Territorien geht.


Westliche Politiker, Wissenschafter und Journalisten täten gut daran, all diese Faktoren im Auge zu behalten, bevor sie zu Verhandlungen über Grenzverläufe aufrufen und einen impraktikablen «Frieden für Land»-Deal anpreisen. 


Wer öffentlich die Annahme vertritt, dass Russland mit der Kontrolle der Krim zufriedengestellt werden könne, schätzt nicht nur die Triebkräfte der Aggression Moskaus gegen die Ukraine falsch ein. Er trägt auch dazu bei, diese Aggression zu verlängern.


Neue Lösungsvorschläge sind nichtsdestoweniger zu begrüssen. Sie müssen jedoch der tatsächlichen Situation vor Ort und der Motivlage der betroffenen Parteien gerecht werden. 


Ein genauerer Blick auf verfassungsrechtliche, wirtschaftliche, historische und innenpolitische Aspekte von Russlands Vorgehen gegen die Ukraine lässt an der Realisierbarkeit von Forderungen nach einem schnellen Waffenstillstand zweifeln. 


Erst im weiteren Verlauf des Krieges wird sich weisen, was an Frieden, welcher Friede möglich ist.

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